Von der Erzählforschung werden die Fragen nach den kulturellen und literarischen Eigenarten des Erzählens meist mit Blick auf das erzählte Handlungsgeschehen und den Mitteilungsakt des Erzählens beantwortet. Der in diesem Vortrag von Alexander Honold vorgestellte Ansatz untersucht hingegen die narrative Bedeutung dessen, was Kant als „transzendentale Ästhetik“ umrissen hat: die bereits dem sinnlichen Wahrnehmen zugrunde liegenden Elementarformen von Raum und Zeit.
Erzählen soll gemäß Kant ein Konfigurationsakt genannt werden, der für das menschliche Raum-Zeit-Erleben grundlegend ist und der eine ästhetische Gestaltbildung anbietet, die bei der textbasierten Narration (respektive in der Rezeption) im Modus ihrer allmählichen Verfertigung (processing) miterlebt und mitgeschaffen werden kann. Dabei gehen Techniken der Musterbildung (paradigmatische Dimension) und der linearen Verkettung (syntagmatische Dimension) jeweils komplexe Verbindungen ein, die sich mithilfe des von Roland Barthes ins Spiel gebrachten Begriffes der Partitur als textuell-diskursive Gesamtereignisse beschreiben lassen. Der ästhetische Konfigurationsakt des Erzählens wird an drei ausgewählten Lektüren aus der realistischen Erzählprosa des 19.Jahrhunderts (Manzoni, Keller, Melville) näher ausgeleuchtet, um anhand dieses Materials die etablierte Opposition von erzählender und beschreibender Darstellung zu überprüfen und den sozialen Raum des Erzählens zwischen Natur und Kultur zu verorten.
Ort: IFK
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