21 Januar 2013
  • Lecture
IFK

Unzeit. Achronien in der Literatur und Kultur des 19. Jahrhunderts

Cornelia Zumbusch geht der Frage nach, auf welche Weise die Zeit in den Erzählungen des 19.Jahrhunderts erfahren wird und an erzählerischer Form gewinnt. Denn der Fortgang von Industrialisierung und Urbanisierung unterliegt temporalen Verzögerungen und Beschleunigungen.

 

Das 19. Jahrhundert gilt als Jahrhundert der Anachronismen. Die Modernisierungsprozesse wie Technisierung, Industrialisierung oder Urbanisierung folgen nicht überall dem gleichen Zeitmaß, sondern führen zu temporalen Verschiebungen, Überlappungen und Verwerfungen. Durch Gasbeleuchtung erhellte, mit Eisenbahnlinien verbundene Städte liegen in scheinbar vormodernen Landschaften. Selbst in den Zentren der Modernisierung steht Altes unverbunden neben Neuem, wobei die Veränderungen das gerade noch Gegenwärtige so aussehen lassen, als wäre es längst überholt. Cornelia Zumbusch geht der Frage nach, auf welche Weise diese paradoxe Zeiterfahrung in Erzählungen der Romantik und des Realismus narrative Form gewinnt. Wie lassen sich die Erfahrungen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen und des permanenten Veraltens des Vertrauten erzählen? Welche Chronotopoi (Michail Bachtin) bildet die Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts aus? Im Mittelpunkt stehen Formen des achronologischen oder achronischen Erzählens–Verfahren also, die lineare Zeitabläufe durchkreuzen oder sogar jede zeitliche Orientierung auflösen. Die Herstellung einer solchen Unzeit dient vielleicht nicht nur dazu, Vergangenes präsent zu halten und zu konservieren. Womöglich arbeitet achron(olog)isches Erzählen selbst mit an der Verwandlung des Jüngstvergangenen in Urgeschichte, von der Walter Benjamin in seinen Studien zum 19.Jahrhundert spricht.

Weitere Informationen zu Cornelia Zumbusch

Ort: IFK