19 Dezember 2016
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IFK

"KORRUPTION" IN DER SÜDOSTEUROPÄISCHEN VORMODERNE. ZUR HISTORISCHEN SEMANTIK EINER GRAUZONE

„Doch wehe demjenigen Richter, der die Beschlüsse durch Begünstigung erwirkt oder das Recht durch die Entgegennahme von Bestechungsgeld beugt,“ so heißt es drohend in der Präambel des ersten walachischen Gesetzeskodex von 1780. Doch was bedeutet diese Einschärfungsformel, wenn auf dem Titelblatt desselben Buchs Justitia ohne Augenbinde dargestellt wird?

 

Ist von balkanischen Verhältnissen die Rede, lässt der Vorwurf der Korruption nicht lange auf sich warten. Dabei führt der Korruptionsbegriff selbst – bei genauerer Betrachtung der inkriminierten Sachverhalte und erst recht in der historischen Rückschau – eher zur Verschleierung als zum Verständnis des damit jeweils Gemeinten. Die Vielfalt der in den Sprachen Südosteuropas verwendeten Begriffe lässt dagegen ein dichtes Bewertungskontinuum erkennen, das sich von der Erfüllung einer sozialen Erwartung einerseits bis hin zur sündhaften Anmaßung oder dem Rechtsbruch erstreckt. Die Grenze des Legitimen wurde nicht erst in der Moderne diskutiert, doch sind gegen Ende des 18. Jahrhunderts Anzeichen einer semantischen Verlagerung auszumachen: Im Kontext einer gesamteuropäischen Debatte über das "gute Regieren" geraten Gefälligkeitsleistungen zunehmend unter Korruptionsverdacht, während ein individuelles Laster zu einem sozialen Missstand umgedeutet wird. Disparate Gegenstandsbereiche werden so zueinander in Beziehung gesetzt, und Korruption gewinnt ihre moderne Bedeutung einer zentralen Problemkategorie.

 

Konrad Petrovszky studierte Geschichte, Philosophie, Slawistik und Politikwissenschaft an der LMU München und der Freien Universität Berlin. Zwischenzeitlich als freier Lektor und Übersetzer tätig, promovierte er mit einer Arbeit zur frühneuzeitlichen Geschichtsschreibung Südosteuropas an der Humboldt Universität zu Berlin. Er ist seit 2013 Assistent am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien und derzeit IFK Research Fellow.

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