14 April 2011
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15 April 2011
  • Conference

Zwischen Panik und Herzenskälte? Das Stoische von der Antike bis zur Gegenwart

Mit dem Verlust des Vertrauens durch die globale Finanzkrise bekommt die Frage dieser Tagung eine unheimliche Aktualität: Wie sind die Schrecken der Geschichte, die plötzlichen Zusammenbrüche von Institutionen und die privaten Enttäuschungen auszuhalten? Durch welche Formen der Lebenskunst lässt sich die Rohheit des Aneinandervorbeilebens, die in Krisenzeiten zunimmt, abmildern?



Die Erfahrung sagt uns, dass Wut, Empörung und fassungslose Trauer wehrlos machen. Wir suchen also nach Formen der Distanz, der Balance und des Maßhaltens. In Momenten der Krise erinnert man sich an coole Sprüche wie „Wer mit dem Teufel speist, muss einen langen Löffel haben“. Aber Coolness verschafft in Krisen nur einen fragilen Halt. „Kälte“ führt zur Verlassenheit. Vielleicht hilft ein Rückgriff auf Techniken der Lebenskunst der antiken Stoa? Die Ideengeschichte des antiken Stoizismus ist gründlich aufgearbeitet, die Geschichte stoischer Haltungen seit den Anfängen der Moderne um 1800 aber noch ungeschrieben. Um ihre Wandlungen zu verstehen, werden auf der Tagung die Denkschulen des Stoischen in Antike und Früher Neuzeit rekonstruiert, um dann stoische Haltungen in der westlichen Kultur vom 18. bis ins 21. Jahrhundert zu untersuchen. Denn gerade die Moderne bildet ein grelles Panorama stoischer Haltungen aus. Das 19. Jahrhundert als historischer Zeitraum der Arbeit, der wissenschaftlichen und technischen Naturbeherrschung erzeugt mit mechanischem Fleiß und der scheinbar selbstlosen, ja selbstzerstörerischen „Objektivität“ des distanzierten Naturwissenschafters, Geologen, Ökonomen, Psychiaters und Chirurgen stoisch gleichmütig agierende Berufstypen. Im Gegensatz zum traditionellen Stoizismus, der zum kontemplativen Leben anleiten wollte, wird die stoische Haltung jetzt zu einem Teil des beruflichen Habitus. Auch die Künstler und Künstlerinnen legen nun Sprödigkeit gegen das Publikum an den Tag, versagen sich Empathie und versprechen „Wahrnehmungsschärfe“, indem sie die Moral auf Eis legen. Nicht wenige Genres heutiger Medienkultur (von Italowestern bis zu Terminator- und Horrorfilmen) aktualisieren diese Haltung, indem sie extreme Affekte zwischen Panik und Herzenskälte ausreizen – fern den Idealen der Stoa.
Die Tagung verfolgt Wandlungen und Übertragungen der modernen Phänomene stoischer Haltung und fragt, welche Funktionen sie in Handlungsräumen der Gegenwart erfüllen könnten.


Konzeption: Justus Fetscher (Seminar für Deutsche Philologie, Universität Mannheim), Helmut Lethen (IFK, Wien)
TeilnehmerInnen: Gesa Frömming (Department of Germanic & Slavic Languages, Vanderbilt University), Markus Hahn (Fachbereich 3 – Medienwissenschaften, Universität Siegen), Klaus Mönig (Deutsches Seminar–Neuere Deutsche Literatur, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg), Barbara Neymeyr (Deutsches Seminar–Neuere Deutsche Literatur, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg), Dr. Katrin Solhdju (Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften, Universität Siegen), Martin Treml (Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin), Christopher Wild (Department of Germanic Studies, University of Chicago), Yvonne Wübben (Germanistisches Institut, Ruhr-Universität Bochum), Cornelia Zumbusch (dzt. derzeit Fachbereich Literaturwissenschaft, Universität Konstanz)