21 Januar 2019
  • Lecture
IFK

ERKUNDUNGEN AN DEN GRENZEN KRIMINOLOGISCHEN WISSENS. ZUR GENEALOGIE DER DUNKELZIFFER

18:15

Die Dunkelziffer ist eine Figur des Verdachts. Mit ihr werden Ängste geschürt und Ressourcen mobilisiert. Aktuell fordern Politik und Wissenschaft auf nationaler und internationaler Ebene umfangreiche Dunkelfeldstudien. Sophie Ledebur fragt nach der Genealogie des Phänomens des unentdeckten Verbrechens.

 

Sei es eine dunkle Ahnung, erfahrungsbasierte Vermutung, approximative Schätzung oder methodisch gestützte Hypothese – die Rede von der Dunkelziffer markiert ein bedrohliches Ausmaß von unbekannten Vorgängen. Die Dunkelfeldforschung avancierte in den 1970er-Jahren zur kriminologischen Subdisziplin. Entgegen der aktuellen Konjunktur liegen jedoch ihre historisch-epistemologischen Dimensionen weitgehend im Dunkeln.

Das Dilemma der unbekannten Tat, die Entkoppelung realer Vorkommnisse von ihrer faktischen Erfassbarkeit, hat eine Geschichte. Die Statistik definiert die Dunkelziffer als die Differenz zwischen dem wirklichen Vorkommen eines Geschehens und seiner numerischen Erfassung. Weder aber ist das, was der Statistik entgeht, gänzlich unbestimmt, noch handelt es sich um eine historisch konstante Entität. Der Vortrag zielt auf die Emergenz des Phänomens des unentdeckten Verbrechens an der Wende zum 19. Jahrhundert. Nicht die Frage nach der Realität von Gefahren interessiert, sondern die Dynamik zwischen einem (Nicht-) Wissen und den daran geknüpften Forderungen und Maßnahmen.

 

 

Sophie Ledebur ist Historikerin. Sie war von 2006 bis 2009 Mitglied des Initiativkollegs „Naturwissenschaften im historischen Kontext“ an der Universität Wien. Nach einem "Writing-Up" Predoctoral Fellowship am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (Abt. III) promovierte sie 2012 mit der Arbeit "Das Wissen der Anstaltspsychiatrie in der Moderne. Zur Geschichte der Heil- und Pflegeanstalten Am Steinhof in Wien“. Von 2009 bis 2015 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des DFG-Forschungsverbundes „Kulturen des Wahnsinns. Schwellenphänomene der urbanen Moderne“. Im Anschluss war sie für ein Visiting-Fellowship am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (Abt. II). Zuletzt war sie Fellow am Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ an der Universität Konstanz, derzeit ist sie IFK_Research Fellow.

 

Publikationen (u. a.): gem. mit Monika Ankele und Céline Kaiser, Aufführen – Aufzeichnen – Anordnen. Wissenspraktiken in Psychiatrie und Psychotherapie, Heidelberg 2018; Das Wissen der Anstaltspsychiatrie in der Moderne. Zur Geschichte der Heil- und Pflegeanstalten Am Steinhof in Wien, Wien, Köln, Weimar 2015; gem. mit Alexander Friedland, Rainer Herrn und Johannes Kassar, Bühnen des Wahnsinns. Inszenierungen psychischer Alterität, Special Issue, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 37, 2014.

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