Vortrag Thomas Macho: SEUCHEN UND VERSCHWÖRUNGSNARRATIVE. KULTURHISTORISCHE UND PSYCHOANALYTISCHE ANMERKUNGEN

SEUCHEN UND VERSCHWÖRUNGSNARRATIVE. KULTURHISTORISCHE UND PSYCHOANALYTISCHE ANMERKUNGEN
Thomas Macho (Wien)

Die Geschichte der Seuchen und Pandemien wird schon seit der Pest im Hoch- und Spätmittelalter von Verschwörungsnarrativen begleitet. Die Suche nach den Schuldigen traf zuerst – wie so oft – die jüdische Bevölkerung, die der »Brunnenvergiftungen« beschuldigt wurde, danach die Frauen, die der Hexerei bezichtigt wurden, schließlich auch, noch zu Zeiten der Cholera im 19. Jahrhundert, die Ärzte und das Pflegepersonal, die als Giftmischer diffamiert wurden.

Wie wenig hat sich seither geändert, obwohl die Medizin inzwischen nicht nur Bakterien oder Viren ebenso erfolgreich wie rasch identifizieren kann, sondern auch zahlreiche Impfstoffe und Medikamente einzusetzen vermag. Die Frage nach der hartnäckigen Langlebigkeit von Verschwörungsnarrativen drängt sich auf: Woraus ergibt sich ihre dauerhafte Ansteckungskraft? Eine Antwort soll im Umkreis psychoanalytischer Theorien gesucht werden, aber auch in einer Interpretation des Romans und der TV-Serie »The Leftovers«.

Thomas Macho (* 1952) forschte und lehrte von 1993 bis 2016 als Professor für Kulturgeschichte am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. 1976 wurde er an der Universität Wien mit einer Dissertation zur Musikphilosophie promoviert; 1984 habilitierte er sich für das Fach Philosophie an der Universität Klagenfurt mit einer Habilitationsschrift über Todesmetaphern. Seit 2016 leitet er das Internationale Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) der Kunstuniversität Linz in Wien. 2019 wurde er mit dem Sigmund Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet, 2020 mit dem Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik. Neuere Publikationen: Das Leben ist ungerecht. Salzburg/Wien: Residenz 2010; Vorbilder. München: Wilhelm Fink 2011; Schweine. Ein Portrait. Berlin: Matthes & Seitz 2015; Das Leben nehmen. Suizid in der Moderne. Berlin: Suhrkamp 2017; Warum wir Tiere essen. Wien: Molden 2022.

Moderation: Veronika Waitz