Fellows


Daniel Weidner
ifk Junior Fellow


Duration of fellowship
01. March 1996 bis 30. June 1996

Jüdische Identität und Krise der Tradition



PROJECT DESCRIPTION

Walter Benjamin und Gershom Scholem ziehen die Konsequenzen aus der Krise der Tradition und der Identität, ohne dabei allerdings den religiösen Horizont ganz aufzugeben. Ganz im Gegenteil kann eine mit aller Radikalität gedachte Religion als Unterbrechung der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Wissens fungieren. Auch in der Moderne, der Zeit der "Unvollziehbarkeit des Konkreten" sind die religiösen Kategorien nicht wirkungslos, aber sie sind in einer merkwürdigen Ambiguität bzw. Dialektik befangen, wo sie bald als letzter Horizont, bald als verschwindender Rest erscheinen.

Dieses Denken, "haarscharf an der Grenze zwischen Religion und Nihilismus", will sich der letzten 'großen Erzählung' des Geschichtsdenkens entziehen: der These von der universellen und unaufhaltsamen Säkularisierung. Einen festen Standpunkt kann dieses Denken nicht haben- Scholem definiert die Gerechtigkeit, die Tugend des Denkens, als "Handeln im Aufschub".

Etwas fehlt immer, daher setzen sie auf eine Art labile Balance zwischen radikaler Politik und esoterischer Schreibweise. Das damit anvisierte Judentum entzieht sich dem schlechten Gegensatz zwischen unmittelbarem 'Leben' und toter 'Form': In ihm legen sie ein paradoxes Leben der Form frei. Dabei schlagen die beiden gegenstrebige Wege ein: Benjamin versucht den aktuellen Traditonsbruch selbst mit mystisch-messianischen Kategorien zu begreifen; Scholem untersucht die jüdische mystische und messianische Tradition historisch und stößt dabei auf ihre seltsame Geschichte, in der sie ständig verschwindet.

In den Texten Kafkas, der den Bereich der 'Ästhetik' zu überschreiten versucht, finden beide die Verbindung zwischen Arbeit an der Sprache und nihilistisch-religiösem Horizont paradigmatisch verwirklicht. Ihre Interpretationen differieren: Für Benjamin hat sich bei Kafka die Schrift in Leben verwandelt. anstelle der Wahrheit intendiere Kafka die Tradierbarkeit, für Scholem stellt Kafka das "Nichts der Offenbarung" dar, die Überlieferung, die zwar noch gilt, aber nichts mehr bedeutet. Trotz und wegen dieser Polarität sehen beide in Kafkas Literatur den klassischen Text ihrer Moderne, der 'etwas von dem strengen Glanze des Kanonischen hat- des Vollkommenen, das zerbricht'."



CV

Studium der Philosophie, Soziologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau, Jena und an der Universität Wien.