Ingrid Fischer-Schreiber



Zeitraum des Fellowships:
01. Oktober 2020 bis 31. Januar 2021

China in Echtzeit



PROJEKTBESCHREIBUNG

China wird in erster Linie über Berichte von Nachrichtenagenturen und einigen wenigen Journalisten, die vor Ort arbeiten, wahrgenommen. Nur sehr selten hat die Öffentlichkeit Gelegenheit, chinesische Stimmen anhand von direkt aus dem Chinesischen übersetzten Texten zu rezipieren.

Das Projekt China in Echtzeit will durch die Übersetzung von chinesischsprachigen Texten ein unmittelbareres Bild des Landes vermitteln und aktuelle Entwicklungen in Politik, Gesellschaft sowie Kunst und Kultur beleuchten und die trotz immer strengerer Regulierung der öffentlichen Sphäre herrschende Lebendigkeit der Auseinandersetzung zeigen. Als Quellen dienen Mainstream-Medien, also Sprachrohre von Regierung und Partei, soziale Medien, akademische Texte, aber auch Stimmen aus der chinesischen Diaspora. Dabei soll nicht nur übersetzt, sondern auch eingeordnet und kommentiert und die Schwierigkeit des Verstehens eines uns nicht vertrauten Kontextes deutlich gemacht werden.



CV

Ingrid Fischer-Schreiber studierte Französisch und Italienisch am Institut für Übersetzer- und Dolmetscherausbildung der Universität Wien und Sinologie am Institut für Sinologie der Universität Wien sowie am Spracheninstitut Peking (1980–82). Seit 1985 ist sie freiberufliche Übersetzerin aus dem Chinesischen, Englischen und Französischen mit den Schwerpunkten China, ostasiatische Philosophie, digitale Kultur und Globalisierung. Daneben ist sie als Lektorin und Kulturprojektmanagerin tätig. Von 2009 bis 2015 lebte sie in Peking und Shanghai und arbeitete für verschiedene europäische und chinesische Kulturinstitutionen.

 



Publikationen

Ding Wenfu, „Es ist Zeit für diesen Wandel“, in: Ding Wenfu, Da sui zhi wai, Hangzhou 2020; Zhang Yimou, One Second (Film), deutsche Untertitel (2019) (aus dem Chinesischen, zensuriert); Feng Junke, Zeit am Fluss. In der gar nicht fernen Vergangenheit, Würzburg 2013 (aus dem Chinesischen).



Chinesische Science-Fiction und Corona

Seit Liu Cixin 1995 den „Hugo Award“ für seine Trilogie San Ti („Die drei Sonnen. Trisolaris-Trilogie“) und die Physikerin und Wirtschaftswissenschaftlerin Hao Jingfang ihn 2016 für die beste Erzählung Beijing Zhedie („Peking falten“) gewonnen haben, ist in China ein regelrechter SF-Boom ausgebrochen, der sich in einer Flut literarischer Werke, aber auch Verfilmungen niederschlägt. Auch die chinesische Regierung hat das Potenzial dieses Genres erkannt; sie sieht darin eine Facette des „chinesischen Traums“ – der Leitidee von Xi Jinping –, also des Wunsches nach Erneuerung der chinesischen Nation durch technischen Fortschritt. Sie nutzt Science-Fiction, um dem Leser den Stand von Wissenschaft und Forschung nahezubringen. Darüber hinaus scheint Science-Fiction in der Literatur (und bis zu einem geringeren Grad im Film) eines der wenigen chinesischen Kulturprodukte zu sein, das auch im Ausland bestehen kann, und wird daher von der Regierung in ihre Soft-Power-Strategie inkorporiert.

Angesichts der Corona-Pandemie hat die Übersetzerin Gu Bei eine Reihe von chinesischen SF-Autoren interviewt und nach ihrer Sicht auf die Pandemie befragt.

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Die Zukunft von Xinjiang

Am 24. und 25. September 2020 hielt Xi Jinping bei der Dritten Zentralen Arbeitskonferenz zu Xinjiang eine Rede, in der er die Richtung für die zukünftige Verwaltung des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang (das mehrheitlich von muslimischen nationalen Minderheiten bewohnt ist) definierte.

Seit 2017 betreibt die Regierung der VR China in der an die früheren Sowjetrepubliken Zentralasiens angrenzende nordwestlichen Provinz Xinjiang Umerziehungslager, in denen nach Schätzungen von Wissenschaftlern 1,5 Millionen Uiguren (ca. ein Zehntel der uigurischen Bevölkerung), aber auch Kasachen und Angehörige anderer (muslimischer) Minderheiten festgehalten werden.

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Die chinesische Politik der Science-Fiction-Filme

Die chinesischen Filmbehörden veröffentlichten ein Dokument, das Maßnahmen zur Förderung von Science-Fiction-Filmen skizziert. Aufgrund ihrer großen Popularität (der erste nationale, stark mit Special Effects spielende SF-Blockbuster, The Wandering Earth, war der dritterfolgreichste Film aller Zeiten mit 691 Millionen USD Einnahmen) und des wachsenden internationalen Interesses misst die chinesische Regierung dieser Industrie große Bedeutung bei, vor allem auch deswegen, weil dieses Genre die breiteren ideologischen und technologischen Zielsetzungen der chinesischen Regierung unterstützt: Sie will chinesische Inhalte mit chinesischer Spitzentechnologie verbinden.

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Die Sinisierung der Religionen Chinas

Seit seiner Machtübernahme im Jahr 2012 weitet Xi Jinping die ideologische und politische Kontrolle über die Bevölkerung Chinas stetig aus. Ein Aspekt dieses Kontrollbestrebens ist sein harter Kurs gegen die Religionen Chinas mit ihren ca. 300 Millionen Gläubigen (offiziell anerkannt sind Buddhismus, Daoismus, Islam, China-treue Katholiken und Protestanten), in erster Linie jedoch gegen den Islam und den tibetischen Buddhismus, die von der Partei als bedrohliche ideologische Konkurrenz empfunden werden.

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Über das Leben

Die 2005 in Peking gegründete One-Way Street Library ist eine Institution, ein Treffpunkt für chinesische Intellektuelle, die sich vom Mainstream abgrenzen. Mittels Vorträgen und Diskussionen will die Buchhandlung einen Shared Space für ein weltoffenes Denken aufbauen. 2009 begann sie, ein Jahrbuch herauszubringen, das kulturelle und gesellschaftliche Themen behandelte. Es gelang, einige der spannendsten Intellektuellen einzubinden, die sich außerhalb des (von der KPCh) kontrollierten Kultursystems bewegen. Seit 2014 erscheint die Publikation vierteljährlich, und an Stelle der ursprünglichen Buchhandlung entstanden „One-Way Spaces“ an verschiedenen Locations in Peking. Das Team will auch internationalisieren und über Chinas Grenzen hinaus wirksam werden. Allerdings ist die Zukunft unsicher, angesichts eines intellektuellen Klimas, in dem Meinungs- und Gedankenfreiheit immer mehr schwinden.

Die hier aufgezeichneten Gedanken stammen aus den Vorbereitungsarbeiten für eine Ausstellung in Peking, die die Stimmung in Post-Corona-Zeiten einfangen will.

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Chinesische Science-Fiction und Corona

Seit Liu Cixin 1995 den „Hugo Award“ für seine Trilogie San Ti („Die drei Sonnen. Trisolaris-Trilogie“) und die Physikerin und Wirtschaftswissenschaftlerin Hao Jingfang ihn 2016 für die beste Erzählung Beijing Zhedie („Peking falten“) gewonnen haben, ist in China ein regelrechter SF-Boom ausgebrochen, der sich in einer Flut literarischer Werke, aber auch Verfilmungen niederschlägt. Auch die chinesische Regierung hat das Potenzial dieses Genres erkannt; sie sieht darin eine Facette des „chinesischen Traums“ – der Leitidee von Xi Jinping –, also des Wunsches nach Erneuerung der chinesischen Nation durch technischen Fortschritt. Sie nutzt Science-Fiction, um dem Leser den Stand von Wissenschaft und Forschung nahezubringen. Darüber hinaus scheint Science-Fiction in der Literatur (und bis zu einem geringeren Grad im Film) eines der wenigen chinesischen Kulturprodukte zu sein, das auch im Ausland bestehen kann, und wird daher von der Regierung in ihre Soft-Power-Strategie inkorporiert. Angesichts der Corona-Pandemie hat die Übersetzerin Gu Bei eine Reihe von chinesischen SF-Autoren interviewt und nach ihrer Sicht auf die Pandemie befragt.

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Gesichtserkennung ist riskanter, als man denkt, Lao Dongyan

Überwachungstechnologien bilden in China eine Schlüsseltechnologie zur Kontrolle der Gesellschaft, die in allen Schattierungen vor allem in als instabil empfundenen Regionen (in erster Linie in Xinjiang) oder jüngst während der Corona-Pandemie zum Einsatz kommt. Bislang hat sich kaum Widerstand gegen Überwachung im öffentlichen Raum geregt, z. B. durch ubiquitäre Überwachungskameras, erst der immer breitere Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie hat eine gewisse Kritik hervorgerufen.

Lao Dongyan ist Professorin für Strafrecht an der Law School der Tsinghua-Universität, einer der Elite-Universitäten Chinas. Sie hat im November 2019 einen Artikel über die Einführung von Gesichtserkennung in der U-Bahn von Peking zwecks Verbesserung der Effizienz des Betriebs auf ihrem WeChat-Account veröffentlicht und sich auf Rechtsstaatlichkeit, internationale Privacy-Normen und die oft gegebene Missachtung der Zustimmung der User konzentriert.

Der hier übersetzte Text ist am 21. Oktober 2020 in der Online-Zeitschrift Pengpai erschienen und schildert Lao Dongyans Widerstand gegen den Einsatz von Gesichtserkennung beim Zugang zu ihrer Wohnanlage. Er ist das Protokoll ihres mündlichen Berichts.

Lao Dongyans kritische öffentliche Äußerungen sind bemerkenswert, weil Universitätslehrende in den letzten Jahren immer stärker unter Überwachung stehen und Kritik an staatlichen Maßnahmen immer wieder zum Entzug der Lehrbefugnis führen. Insgesamt ist „zivilgesellschaftliches“ Engagement in China in den letzten Jahren aufgrund rechtlicher Einschränkungen drastisch zurückgegangen. Wie gefährlich solche Äußerungen empfunden werden, zeigt ein Beispiel aus meiner persönlichen Erfahrung: Im Frühling 2019 habe ich mit einem Stadtforscher in Peking, der eine transdisziplinäre Beratungsfirma mit 30 Angestellten betreibt, über genau dieses Thema der Überwachung in Wohnanlagen gesprochen, und er hat mich gebeten, ihn nicht zu zitieren, weil seine kritischen Äußerungen auf ihn zurückverfolgbar seien und ihm seine Existenz kosten könnten.

Die im Text erwähnte Stadt Hangzhou hat übrigens am 26. Oktober 2020 verlautbart, dass Nachbarschaftskomitee Bewohner von Wohnanlagen nicht zwingen können, biometrische Zugangskontrollsysteme mit Fingerprint- oder Gesichtserkennung zu nutzen, um Zugang zu öffentlichen Einrichtungen zu bekommen (siehe: http://www.sixthtone.com/news/1006366/hangzhou-bans-mandatory-facial-recognition-in-residential-communities).

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Wissenschaft in China, Rao Yi

 In diesem Text wirft Rao Yi, ein chinesischer, in den USA ausgebildeter Neurobiologe einen Blick auf den Stand der Naturwissenschaften in China. Er kehrte 2007 nach China zurück, um Dean an der School of Life Sciences der Peking-Universität zu werden. Seit 2019 ist er Präsident der Capital Medical University. Er ist einer der führender Reformer, was Wissenschaftsausbildung betrifft, und schreibt zu diesem Thema für ein breites Publikum.

Raos Einschätzung des Zustandes der (Natur)Wissenschaften in China deckt sich mit der anderer Wissenschaftler (vor allem jener in der Grundlagenforschung) und lässt doch Zweifel an den Zielen, die der eben beschlossene 14. Fünf-Jahres-Plan (2021–2025) der chinesischen Regierung anpeilt: Unabhängigkeit im High-Tech-Sektor, vor allem in der Halbleiterindustrie (wo China laut Aussagen chinesischer Experten zehn bis 15 Jahre hinter Südkorea, Taiwan und den USA hinterherhinkt), in der Forschung. Außerdem wird globale Innovationsführerschaft angestrebt.

Der hier übersetzte, zur Zeit auf einigen Social-Media-Plattform veröffentlichte Text ist eine gekürzte Fassung eines Textes, der bereits 2015 erschienen ist.

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Neijuan: Ein Wettbewerb, der weder Scheitern noch Rückzug zulässt, von Xiang Biao

In den letzten Monaten haben urbane Chinesen mit den unterschiedlichsten Hintergründen entdeckt, dass sich ihr Alltag mit einem „obskuren“ Begriff beschreiben lässt: neijuan.

Neijuan, das ursprünglich für den anthropologischen Begriff „Involution“ steht, verkörpert wie wenige andere Begriffe das heutige China mit seinem extremen Wettbewerbsdenken.

Die Shanghaier Online-Zeitschrift Pengpai (The Paper), herausgegeben von der Shanghai United Media Group, eines Staatsbetriebs unter Kontrolle der KPCh, hat den Anthropologen Xiang Biao zur Geschichte und aktuellen Bedeutung dieses Begriffs befragt. Xiang Biao ist Professor für Sozialanthropologie an der Universität Oxford und wird ab 2021 die neu geschaffene Abteilung für „Anthropologie der wirtschaftlichen Experimente“ am Max-Planck-Institut für Ethnologische Forschung in Halle / Saale leiten.

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Niemand im Nanlishilu-Park kann schlafen

Von Cui Yifan, Guyu Lab, Tencent News

 

Das Gesundheitssystem ist einer der wundesten Punkte der chinesischen Gesellschaft. Seit den 1990er-Jahren ist der Zugang zu medizinischer Versorgung extrem ungleich geworden: Die ländliche Bevölkerung hat kaum Zugang zu qualitativ hochstehender medizinischer Versorgung, die in erster Linie in den Spitälern in den Großstädten im Osten Chinas konzentriert ist, ein Großteil der Versorgung wurde inzwischen privatisiert. Theoretisch sollte heute, nach vielen Reformen, zwar jeder Chinese krankenversichert sein, aber die offizielle Versicherung deckt maximal die Hälfte der Kosten, bei schweren oder chronischen Krankheiten noch viel weniger, wobei hier noch nicht berücksichtigt ist, dass Angehörige die Kranken mit Essen versorgen und im Spital betreuen müssen. Eine schwere Krankheit bedeutet in vielen Fällen den finanziellen Ruin. Das Krankensystem ist aufgrund seiner Struktur sehr korruptionsanfällig: Das Grundgehalt der Ärzte (derer es viel zu wenige gibt, denn China hat nur halb so viele Ärzte wie die OECD-Länder im Durchschnitt) ist extrem niedrig und wird durch verschiedene unregulierte Zusatzzahlungen, Boni usw. aufgestockt, was der Korruption Tür und Tor öffnet: Viele Patienten stecken dem Arzt einen „roten Umschlag“ mit Bargeld zu, um sich eine bessere Behandlung zu erkaufen. Die Unzufriedenheit der Patienten und die korrupten Praktiken haben zu einer Welle der Gewalt gegen Ärzte geführt: Immer wieder kommt es zu tätlichen Angriffen gegen Ärzte oder zu Mord(versuch)en, Patienten kommen aus Angst vor Kunstfehlern mit Anwälten ins Spital und klagen wegen jeder vermuteten Fehler, sodass der Beruf des Arztes inzwischen als einer der riskantesten gilt.

Das ist der Hintergrund, vor dem die im folgenden Text beschriebenen Schicksale verstanden werden müssen. Der Text beschreibt keine Einzelerscheinungen (inklusive der geschilderten familiären Gewalt), sondern ein weit verbreitetes Phänomen.

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CEO von Alibaba Zhang Yong: Die großen Erfolge der chinesischen Digitalwirtschaft verdanken sich der innovativen Politik der Regierung

Dieser Artikel wurde in der chinesischsprachigen Tageszeitung Huanqiu Shibao veröffentlicht, einer 1993 gegründeten Zeitung mit stark nationalistischer Ausrichtung, die unter Schirmherrschaft der Peoples‘s Daily (Renmin Ribao) der Kommunistischen Partei Chinas steht. Eine englischsprachige Version, Global Times, erscheint seit 2009, wendet sich an ein internationales Publikum und ist als Konkurrenz zu internationalen Medien gedacht. Der Herausgeber von Global Times ist auf Twitter extrem aktiv, sein Account @HuXijin_GT gibt einen guten Einblick in die offizielle Stimmung.

Der hier übersetzte Artikel gibt eine Rede des CEO von Alibaba, der größten E-Commerce-Firma weltweit, wieder, die dieser bei der wichtigsten Internet-Konferenz, der World Internet Conference in Wuzhen bei Shanghai, gehalten hat – kurz nachdem der Doppel-Börsengang der Finanz-Schiene von Alibaba, Ant Financial, in Shanghai und Hongkong von Xi Jinping höchstpersönlich und in letzter Sekunde abgesagt wurde. Angebliche Gründe dafür: Eine Rede von Jack Ma, dem Gründer von Alibaba, in der er sich aus Sicht der Machthaber ungebührlich über das Finanzsystem Chinas geäußert hat. Außerdem scheint die Regierung in Peking digitale Finanzdienstleister wie Ant Financial generell zügeln und die Kapitalmarktstabilität und das Interesse der Investoren schützen zu wollen.

Der unten übersetzte Text erschien in der chinesischen Ausgabe der Zeitung. Die englischsprachige Version veröffentlichte ebenfalls einen Artikel über diese Rede, allerdings mit einem anderen Titel: „Alibaba filled with gratitude, pledges to positively respond to govt rules: chairman“ (https://www.globaltimes.cn/content/1207723.shtml). In dieser Version wird explizit betont, wie „dankbar“ sich Zhang der Regierung gegenüber zeigt, die durch ihre Regelungen des Finanzmarktes Innovationen erst möglich mache – also das Gegenteil dessen, was Jack Ma in seiner Rede, die zur Absage der IPO führte, gesagt hatte.

Zhangs Rede steht für ein Phänomen der letzten Jahren: Nach einem von der Führung kritisierten „Fehltritt“ muss man sich für diesen öffentlich entschuldigen. Immer wieder sind öffentliche Intellektuelle, Menschenrechtsaktivisten oder prominente Geschäftsleute zu „Entschuldigungen“ und „Geständnissen“, zwecks Abschreckung in manchen Fällen zum Teil live im Fernsehen, gezwungen worden.

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Xi Jinpings „Drei Beziehungen“ unterstreichen die Wichtigkeit des Aufbaus einer ökologischen Zivilisation

Dieser Text wurde auf einer App veröffentlicht, die emblematisch für die neue Form von Propaganda steht, die seit dem Amtsantritt von Xi Jinping herrscht. Die App „Xuexi Zhongguo“ – das als „China lernen“ oder auch „Xis China lernen“ verstanden werden kann, wurde 2015 von der Zentralen Parteischule der KPCh entwickelt und will auf spielerische Weise das Denken von Xi Jinping vermitteln und die Öffentlichkeit für sozialistische Ideologien begeistern. Über die App werden alle Dokumente von Xi zugänglich: seine Reden, Bücher, Berichte, aber auch Analysen seitens Parteiexperten, sowie Xis Reisen und offizielle Besuche. Xi Jinping ist ein Staatsmann, der sämtliche Medienkanäle bespielt. Das Zentrale Publicity-Department hat in den letzten Jahren viele Ressourcen in die Entwicklung von Videos und Games gesteckt, die die Partei verherrlichen und Xis Position konsolidieren sollen.

Daneben gibt es eine weitere App, die von Alibaba entwickelt worden sein soll und eine ähnliche Zielsetzung verfolgt: „Xuexi Qiangguo“ („die Nation studieren und stärken“ oder „die mächtige Nation studieren“). 2019 auf den Markt gebracht, will auch sie das Denken von Xi Jinping verbreiten. Scheinbar erfolgreich: Angeblich hat sie mehr als 100 Millionen aktive User und die im chinesischen App-Store von Apple am häufigsten heruntergeladene App. Diese App weist mehr Funktionen auf als „Xuexi Zhongguo“: Sie hat Zugang zu persönlichen Informationen wie Klarnamen, ID, biometrischen Daten usw. und trackt das Userverhalten. Eine der wichtigsten Funktionen ist, dass sie Punkte vergeben kann: Wer mehr von Xi Jinpings Texten liest, wer kommentiert und an Tests über die Politik der Partei teilnimmt, erntet auch mehr Studier-Punkte, was karrierefördernd sein kann, denn man beteiligt sich damit an der „Stärkung des Landes“. Die App wird daher auch von Regierungsbehörden, Schulen und Universitäten empfohlen; Inhalte sind z. T. auch Prüfungsstoff im Rahmen der in den letzten Jahren massiv verstärkten politischen Schulung, und in manchen Firmen gibt es Wettbewerbe um den höchsten Punktestand. Für Parteimitglieder ist der tägliche Gebrauch der App und das Sammeln von Punkten verpflichtend und wird getrackt.

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Ren Zhengfeis Rede zum Abschied von Honor

Vergangene Woche hat Huawei seine 2013 gegründete, extrem erfolgreiche Niedrigpreis-Marke Honor an ein chinesisches Konsortium verkauft, um deren Unabhängigkeit von Huawei zu sichern und sie so aus der Schusslinie der USA zu nehmen, die Huawei mit massiven Sanktionen belegt haben: Sowohl Huawei als auch Honor dürfen keine Google-Apps mehr vorinstallieren, wodurch die internationalen Verkäufe einbrachen. Außerdem hat Huawei Schwierigkeiten, sich Bauteile wie Chips zu beschaffen.

Am 25. November 2020 verschickte der Gründer von Huawei, Ren Zhengfei, aus Anlass einer Abschiedsparty für Honor einen sehr emotionalen Brief an alle Mitarbeiter und veröffentlichte ihn auch in dem für alle offenen betrieblichen Online-Forum (Huawei Xinsheng, http://xinsheng.huawei.com/cn/index/guest). Der Brief gibt einen seltenen Einblick in die Denkweise des Gründers des (nun nicht mehr) größten Smartphone-Unternehmens der Welt und seine Vorstellungen über Management, Wettbewerb, Fairness, Familienwerte und Beziehungen. In den chinesischen sozialen Medien waren die Reaktionen darauf durchwegs sehr positiv.

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Umbruch in der chinesischen Medienlandschaft

Im September 2020 veröffentlichten das Zentralbüro der KPCh und das Zentralbüro des Staatsrats eine „Stellungnahme zur Beschleunigung der Förderung einer vertieften integrierten Medienentwicklung“. Deklariertes Ziel für die Entwicklung der Medien in China ist die Schaffung eines „Omnimedien“-Systems, also die Integration von ICT-Technologien, Content und Medienfirmen, sowie die Neustrukturierung des gesamten nationalen Mediensystems unter der Führung der Partei. Diese Konvergenz hat aber ein weiteres Ziel: „die Schwächung der Parteiführung im Namen von Integration und Entwicklung entschlossen [zu] verhindern“. Es geht der KPCh also darum, die digitale Medienrevolution für den Ausbau der Dominanz der Partei und der Führung der „Mainstream“-Meinung zu nutzen. Ziel ist die Entwicklung einer nationalen Medienstrategie, die auch zu einer noch stärkeren Verquickung von Politik und Medien, vor allem sozialen Medien, führen wird (Stichwort: „Content + staatliche Dienstleistungen“).Diese Entwicklung ist auch für das Ausland relevant: Seit Jahren versucht China, die internationale „Diskurs-Hoheit“ bei gewissen Themen zu erobern, und expandiert mit TV-Kanälen, Zeitschriften usw. aktiv ins Ausland – auch mit gekauften Werbeständen für prochinesische Publikationen – wie vor einigen Wochen auch im Thalia auf der Mariahilferstraße zu bestaunen. Außerdem soll dadurch auch die „Gefahr einer kapitalistischen Manipulation der öffentlichen Meinung“ verhindert werden.Ich habe zwei Texte zum Thema übersetzt: die offizielle Stellungnahme, die die Richtung absteckt, und die Rede von Xu Lin, Vizedirektor des Publicity-Departments der KPCh und Direktor des Informationsbüros des Staatsrates, anlässlich der China New Media Conference in Changsha am 19. 11. 2020.

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Der Beginn von #metoo in China

Am 2. Dezember 2020 erschien die 27-jährige Drehbuchautorin Zhou Xiaoxuan (online bekannt als „Xianzi“) vor einem Pekinger Bezirksgericht zu einer Verhandlung ihres Falls gegen Zhu Jun, einen bekannten Moderator von China Central Television (CCTV). Xianzi wirft ihm vor, sie während eines Praktikums im Jahr 2014 sexuell belästigt zu haben. Nachdem die Polizei ihre Anschuldigung damals ignoriert hatte, schrieb sie 2018 einen aufsehenerregenden Essay, der viral ging und den Beginn der #metoo-Bewegung in China bedeutete. Zhu verklagte sie daraufhin wegen Verleumdung und verlangte eine öffentliche Entschuldigung und 600.000 RMB (ca. 76.000 EUR) Entschädigung, worauf Xianzi ihn wegen einer Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte verklagte, die die Unversehrtheit des Körpers garantieren, ohne jedoch sexuelle Belästigung spezifisch zu erwähnen.

Am Tag des Prozesses versammelten sich in einem selten gewordenen Zeichens öffentlichen Protests hunderte Unterstützer*innen und Medienvertreter*innen vor dem Gericht in Peking, hielten #metoo-Plakate hoch und erreichten beträchtliche mediale Aufmerksamkeit (z. B. auf BBC: China #MeToo: Court to hear landmark case of intern versus TV star, https://www.bbc.com/news/world-asia-china-55140026). Die Anhörung dauerte zehn Stunden, Zhu Jun erschien nicht, der Prozess wurde vertagt.

Das hier übersetzte Gespräch erschien auf dem WeChat-Account Aussenseiter2015. Xianzi spricht über ihre Erfahrung mit dem Justizsystem und über ihre Hoffnung, Frauen mit ähnlichen Erfahrungen dadurch unterstützen zu können.

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Wettermodifikation in China

In China wird seit langem mit Mega-Projekten in die natürliche Umwelt eingegriffen: Der Drei-Schluchten-Damm ist eines der größten Stauprojekte der Welt (mit dem größten Wasserkraftwerk), das Nord-Süd-Wassertransferprojekt ist das weltweit größte Wassertransferprojekt, das Wasser aus dem Jangtse im Süden über ungefähr 1.200 Kilometer Richtung Peking bringt.
Auch Wettermodifikation wird in China seit langem praktiziert, vor allem Cloud-Seeding anlässlich großer Events (z. B. bei den Olympischen Spielen 2008 oder bei global relevanten politischen Treffen in Peking, wo durch diese Maßnahmen auch in Perioden ärgster Luftverschmutzung ein paar Tage blauer Himmel herrschte). Laut einer Mitteilung des Staatsrats plant Peking, seine Wetterbeeinflussungsmaßnahmen bis 2025 auszudehnen – auf eine Testfläche von 5,5 Millionen Quadratkilometer (65 mal die Größe von Österreich), wo mit der Beeinflussung von Regen- und Schneefall experimentiert wird, und auf weitere 580.000 Quadratkilometer, wo Hagel verhindert werden sollen. Bis 2035 will China Weltspitze in Sachen Wettermodifikationstechnologie sein. 
Durch solche Maßnahmen riskiert China aber Konflikte mit seinen Nachbarn, denn sie werden vor allem in Grenzgebieten eingesetzt, wie dies z. B. bei den Flussregulierungen im Qinghai-Tibet-Plateau der Fall ist, wo Ganges, Indus, Brahmaputra oder Mekong entspringen, oder im Rahmen des Tianhe-Projekts, wo Wasserdampf aus dem Plateau nach Norden abgelenkt wird und dort für Regen sorgen soll. Vor allem Indien befürchtet, dass China das Wetter als Waffe einsetzen könnte.

Der übersetzte Text ist ein Kommentar des Leiters der China Meteorological Administration zu der Stellungnahme des Staatsrats.

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Internet-Riesen nehmen Gemüsehändlern die Lebensgrundlage weg

Die Digitalisierung ist in China in alle Ecken des Alltags vorgedrungen, in letzter Zeit vor allem in die Landwirtschaft, und zwar in Produktion und Vertrieb landwirtschaftlicher Güter. Einen Aufschwung erfährt dabei das „Community Group Buying“, das durch die Verteuerung der Preise für Schweinefleisch durch die Schweinegrippe und die Corona-Epidemie einen neuen Schub erlebt hat. Im Unterschied zu den Anfängen vor zehn Jahren konzentrieren die aktuellen Geschäftsmodelle auf Konsumentengruppen, die in einer Wohnanlage wohnen (die in den chinesischen Städten ja oft etliche Tausend Menschen umfassen) und gemeinsam Bestellungen aufgeben, die Ware an einem bestimmten Ort bzw. bei einer Person in der Wohnanlage abholen (wodurch Fahrten von Kurierdiensten eingespart werden können) und dementsprechende Mengenrabatte bekommen. Inzwischen sind alle großen Player der Internet-Industrie in diesen Bereich vorgestoßen und liefern sich Rabattschlachten – eine der Folgen schildert der übersetzte Artikel: die Verdrängung der kleinen Gemüsehändler. Dieses Phänomen wird im Moment breit diskutiert.

Der übersetzte Text wurde auf einem „Official Account“ auf WeChat veröffentlicht, das sich mit Fragen von jungen Landbewohner*innen auseinandersetzt.

(Anmerkung: 10 Yuan = 1,25 EUR)

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Die Überlegenheit des westlichen Systems – ein Aberglaube

In den letzten Jahren hat der Nationalismus in China massiv zugenommen: durch die neue geopolitische Lage, in der manche schon den Beginn eines neuen Kalten Kriegs sehen, aber auch durch Neuorientierungen der chinesischen Politik. Die Corona-Pandemie hat das Gefühl der Überlegenheit gegenüber dem Westen in einem Teil der Bevölkerung noch weiter verstärkt und wird von der Regierung aktiv angeheizt. Der hier übersetzte Text von Fan Zhengkun vom Department für marxistische Studien an der Hebei University of Technology will auch jene, die nach wie vor im Aberglauben an die Überlegenheit des „westlichen Systems“ gefangen sind, von ihrem Irrtum überzeugen.

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Die Verantwortung der chinesische Diplomatie

Seit ein paar Jahren gibt es eine neue Garde chinesischer Diplomaten, die sogenannten „Wolf Warrior“ – benannt nach einem patriotischen chinesischen Action-Film à la Rambo, die in krassem Gegensatz zur lange gepflegten Strategie des taoguang yanghui stehen, was in etwa „sein Licht unter den Scheffel stellen und im Hintergrund arbeiten“ bedeutet und auf Deng Xiaoping zurückgeht. Diese Diplomaten – allen voran der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Zhao Lijian – verteidigen Chinas nationale Interesse in einem sehr aggressiven, konfrontativen Ton und manchmal mithilfe von Fake News vor allem in den sozialen Medien, in erster Linie auf Twitter – was in China gesperrt ist. Einen neuen Höhepunkt erreichte diese Form der Diplomatie während der Corona-Pandemie, als China Fehler beim Handling der Pandemie und die schlechte Qualität von exportiertem medizinischem Equipment vorgeworfen wurde.

Der hier übersetzte Auszug der Neujahrsrede von Außenminister Wang Yi reflektiert dieses neue Verständnis von Diplomatie in China: dass man manchmal den „Bösewichten“ den Kampf ansagen müsse.

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„Wann kommen Sie zurück?“ „Kommt es zum Krieg?“

Die Beziehungen zwischen der VR China und Taiwan sind angespannt wie nie. Die KP China betrachtet Taiwan als „untrennbaren Teil Chinas“ – obwohl es nie zur VR China gehört hat, sondern mehr als 200 Jahre Teil von Chinas Qing-Kaiserdynastie und von Ende des 19. Jahrhunderts bis 1945 eine Kolonie Japans war. Xi Jinping ging so weit zu sagen, dass man Taiwan notfalls auch mit Gewalt an China anschließen müsse.

Der folgende, sehr persönlich geschriebene Text eines in Taiwan stationierten Korrespondenten der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua gibt seltene Einblicke in die Wahrnehmung der aktuellen Situation seitens eines offiziellen Vertreters der VR China.

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25 Januar 2021
18:15
  • Lecture
IFK@Zoom
Ingrid Fischer-Schreiber

IFK_LIVE: China in Echtzeit

Wie nähern wir uns China? Können wir die chinesische Sicht auf die Welt nachvollziehen? Das Projekt „China in Echtzeit“ versucht dies durch Übersetzung zu ermöglichen. Aber welche Schwierigkeiten tun sich bei der Vermittlung chinesischsprachiger Inhalte auf? Über die Tücken einer fehlenden Grammatik und die interpretativen Spielräume beim Übersetzen.

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