18 Mai 2016
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FALTUNGEN. GOETHES "WAHLVERWANDTSCHAFTEN"

Goethes nach eigener Auskunft „bestes Buch“ ist zugleich sein nach wie vor rätselhaftestes , obgleich es sein meistanalysiertes sein dürfte. Aber alle Versuche müssen letztlich vor dem Inkommensurablen dieses Romans resignieren, der seine Leser und insbesondere Leserinnen weder exemplarisch belehrt, sie nicht zur Identifikation einlädt, noch durch seinen Plot besonders gut unterhält. Aber was sonst?

 

„Sei ein Mann und folge mir nicht nach!“ Schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hören Geschichten auf exemplarische „magistrae vitae“ (Cicero) zu sein. Die neue poetische Wahrheit, ihre frohe Botschaft heißt: Es gibt keine Anwendung literarischer Texte. Am Schluss der „Wahlverwandtschaften“ werden ihre Leser und insbesondere ihre Leserinnen weder durch das Schicksal ihrer Figuren exemplarisch belehrt sein – keine von ihnen lädt zur „sympathetischen“, „kathartischen“ oder gar „admirativen“ Identifikation ein - , noch durch ihren Plot zur „Partizipation“ bewogen. Ihre Stimmung, die nicht so leicht verklingt, verdankt sich vielmehr einem alten rhetorischen Mittel, ihrem „Decorum“.

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