27 Juni 2011
  • Lecture
IFK

Induktion um 1930: Verhalten in der unordentlichen Wirklichkeit

Der Wiener Philosoph Edgar Zilsel dachte, dass die Wirklichkeit ein unendlich veränderlicher, niemals abgeschlossener Prozess sei. Warum sich Zilsel von der Induktion eine Orientierung in dieser chaotischen Wirklichkeit versprach, setzt Monika Wulz in ihrem Vortrag auseinander.

 


Ein Gas besteht aus unzähligen Molekülen, die regellos durcheinanderschwirren. Menschen bewegen sich ungeordnet in der Großstadt, benützen als ungeregelte Massen die öffentlichen Verkehrsmittel. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtung geht der austromarxistisch orientierte Philosoph, Physiker und Wissenschaftshistoriker Edgar Zilsel (1891–1944) davon aus, dass die Wirklichkeit ungeordnet ist; die Wissensobjekte, so Zilsel, seien Massenerscheinungen. Er entwickelt anhand dieser Annahme eine Epistemologie, die Induktion als Grundlage jeden Wissens versteht. Jede Wirklichkeitsaussage verknüpft demnach einzelne Kriterien der ungeordneten Massenerscheinungen und formuliert eine Vermutung darüber, wie sich diese entwickeln werden. Zilsel definiert induktives Wissen folglich als praxisorientierte Anweisung zu einem bestimmten Verhalten gegenüber der unordentlichen Wirklichkeit. Induktion spielt bei Zilsel damit nicht nur eine Rolle als Methode in der naturwissenschaftlichen Forschung, sie ist auch die Grundlage der historischen und soziologischen Forschung, juristischer Verfahren sowie des gesamten Erfahrungswissens. Damit wird die Induktion zu einer praktischen Kategorie, die naturwissenschaftliche, gesellschaftliche wie auch politische Wirklichkeit erzeugt.
Monika Wulz befasst sich in ihrem Vortrag nicht nur mit Edgar Zilsels Induktionsbegriff im theoretischen Kontext seiner Auseinandersetzung mit Moritz Schlick, sondern behandelt darüber hinaus das zeitgleiche Auftauchen des Begriffs in Otto Neuraths Soziologie sowie in Bertolt Brechts Kinotheorie.

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