Vortragsmitschnitte

Tagung »Alltagsgeschichten von Flughäfen«, Vortrag von Carole Martin





Carole Martin »Just a Trick«. Temporäre Eheschließungen am Flughafen in vietnamesisch-U.S.- amerikanischer Flüchtlingsliteratur


Während ihrer Fortdauer wird die Flucht zum Alltag von Geflüchteten, womit auch an Übergangsorten wie Flughäfen gewöhnliche Tagesroutinen vorangehen und Meilensteine wie Hochzeiten zu unspektakulären Mitteln zum Zweck verzerrt werden. Dies verdeutlicht Aimee Phans Kurzgeschichten - sammlung We Should Never Meet (2004) – in diesem transnationalen Erzählzyklus wird kurz vor dem Fall Saigons und der kommunistischen Machtübernahme im April 1975 ein Priester zum Terminal gebracht, um Massentrauungszeremonien zwischen U.S.-Bürger*innen und Vietnames*innen durchzuführen. Letzteren wird somit die Aussicht eröffnet, aus ihrer kriegsbetroffenen Heimat zu fliehen; Flughäfen fungieren dementsprechend als relevante Zwischenorte, die nur mithilfe der richtigen Dokumente passiert werden können, um (Über-)Leben an neuen Destinationen zu ermöglichen. Im Fokus dieses Beitrags stehen Darstellungen und Umstände der am Flughafen stattfindenden Hochzeitspraktiken, die unter Berücksichtigung entscheidender Intersektionen von Klasse, Gender und Ethnizität in den breiteren Kontext der zeitgenössischen Flüchtlingsliteratur vietnamesisch-U.S.-amerikanischer Autor*innen eingebettet werden. Jene Werke hinterfragen dominante Geschichtsschreibungen und affirmieren die Möglichkeit einer ausgeprägten Selbstrepräsentation über und von Geflüchteten, die charakteristische Besonderheiten der Flüchtlingserfahrung aufgreifen, ohne dabei die potenziellen Diskrepanzen zwischen den Akteur*innen außer Acht zu lassen. Die vielseitigen Erfahrungsfacetten der Flucht werden auch in Alltagsgeschichten von Flughäfen sichtbar, wobei diese wichtige Durchgangsorte für die weitere Mobilität der Geflüchteten darstellen und zugleich ihre unmittelbare prekäre Immobilität greifbar machen.    Carole Martin promoviert in amerikanischer Literaturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Mitglied der Klasse für Literatur der Graduiertenschule Sprache & Literatur. Aus dem Blickwinkel vietnamesisch-U.S.-amerikanischer Literatur betrachtet ihr Dissertationsprojekt verflochtene Im/Mobilitäten und liminale Subjektivitäten von Geflüchteten und untersucht materielle Bedingungen sowie politische Kontexte der Vertreibung. Zuvor schloss sie ihr Bachelor- und Masterstudium in Englisch und Ethnologie an der Universität Basel ab. Ihre Forschungsinteressen liegen in den interdisziplinären Feldern der Critical Refugee Studies, der transnationalen Migrationsstudien und der postkolonialen Theorie. Publikationen (u. a.): »Of Ghosts, Gifts, and Globetrotters: Tracing Homes and Homelands in Vietnamese American Refugee Short Stories«, in: Anna Flügge und Giorgia Tommasi (Hg.), Perspectives on Homelessness, Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2022, S. 229–50; »Towards and Across Third Cultures: South Asian American Transnationalisms and Rhizomatic Subjectivities in Jhumpa Lahiri’s Oeuvre«, in: JAST, 56 (2021), S. 67–90; »Multilingualism, a New Language Policy and Language Practice in Primary Schools in Solwezi«, in: Basel Papers on Political Transformations, 20/21 (2020), S. 15–19.